
Um es gleich vorweg zu nehmen: Von einer eingehenden Beratung des „Verkehrskonzepts Münchner Norden“ konnte auch bei dieser Sitzung, schon wegen der viel zu geringen Zeitvorgabe, keine Rede sein. Es blieb dabei, dass einige Stadträte ergänzende Eingaben oder Korrekturwünsche an den die Sitzung leitenden Oberbürgermeister, die Stadtverwaltung unter Stadtbaurätin Elisabeth Merk sowie an ihre Stadtratskollegen richteten.
Aus dem 24. Stadtbezirk ergriff Stadträtin und Ausschussmitglied Heide Rieke (SPD) das Wort, um noch einmal die nach ihrer Meinung wichtigen Grundlagen für einen endgültigen Verkehrsentwicklungsplan Münchner Norden herauszustellen. Es müsse zwar auch künftig unter einem sicher noch anwachsenden Verkehrsdruck die individuelle Mobilität gewährleistet sein. Allerdings dürften mit diesem Grundsatz nicht der Schutz der Menschen und Anlieger an den Hauptverkehrswegen und der Schutz der Natur vor Lärm, Verschmutzung und anderen negativen Folgen außer Acht gelassen werden.
Rieke: Wie entlasten neue A99-Anschlüsse den Verkehr im Norden?
Rieke forderte von der Verwaltung sehr viel mehr Detailinformationen zum aktuellen Konzept, unter anderem darüber, woher etwa die unzähligen Pendler kämen, die es täglich nach München und speziell in den Münchner Norden zieht. Man müsse in das Konzept alles einplanen, was denkbar und umsetzbar sei, so Rieke, um den individuellen Pendlerverkehr künftig auf öffentliche Verkehrsmittel zu verlagern. Was natürlich voraussetzt, dass diese entsprechend technisch und logistisch ertüchtigt werden. Auch fehle ihr nach wie vor eine plausible Begründung dafür, so Rieke, warum und wie eine Öffnung der A99 an einem oder gar zwei Punkten des Stadtgebiets für den Münchner Norden verkehrsentlastend wirken solle. Bevor kein „endgültiges“ Gesamtkonzept für den Individualverkehr, den öffentlichen Nahverkehr sowie die Bereiche Radfahrer und Fußgänger vorliege, so Stadträtin Rieke, könne es keine „aktuelle Vorzugslösung“ geben, von der schon heute so viel die Rede sei.
Wolf: BMW muss Güterverkehr auf die Schiene verlagern
Für die CSU forderte Stadtrat Georg Kronawitter mit Hinblick auf den ÖDP-Vorschlag, die Schleißheimer St. nicht nur an die A99 anzubinden (wenn überhaupt), sondern unmittelbar an die Anschlussstelle einen P&R-Platz anzulegen, um von dort die Pendler per Tram nach München zu transportieren (siehe Lokal-Anzeiger 9/2011), dass man eine derartige Idee nur weiter verfolgen könne, wenn bis dahin O- und U-taugliche Kombizüge mit zwei Steuerköpfen einsetzbar wären. Er wolle nicht mehr Biotop-Wendeschleifen alten Stils im Münchner Norden zustimmen.
Schließlich forderte Brigitte Wolf von den Linken die Verwaltung auf, mit Nachdruck mit BMW darüber zu verhandeln, dass deren Gütertransporte beschleunigt und weitgehend von der Straße weg auf die Schiene verlagert würden. Mit dem größten Arbeitgeber des Münchner Nordens – BMW – könne nur ein gemeinsames Verkehrsmanagement für die Mitarbeiter und den Güterverkehr erarbeitet und fest verabredet werden.
Erhebungen haben nämlich ergeben, dass etwa 70 % der BMW-Mitarbeiter in der Zentrale und der Produktion Milbertshofen sowie im FIZ an der Schleißheimer Str. mit dem Auto zur Arbeit kommen. Logisch, dass die Personalverantwortlichen bei BMW sich eine weitere Öffnung der A99 wünschen. FDP-Fraktionschef Matter forderte Stadtrat und Verwaltung nachdrücklich auf, einen Anschluss der Schleißheimer Str. an die A99 nun ganz ernsthaft zu prüfen.
Schnelle Beschlüsse für ein neues Verkehrskonzept gibt es nicht
Angesichts der großen Unsicherheiten, angesichts vieler ausstehender Detailinformationen, angesichts der noch völlig offenen Frage einer praktikablen und finanzierbaren Beseitigung der schienengleichen Bahnübergänge im Stadtbezirk und der auch noch unterschiedlichen Vorstellungen zu Grundsatz- und Detailfragen in den Fraktionen ist es fraglich, ob das Verkehrskonzept für Münchens Norden bis zum Ende 2011, wie es sich so mancher Stadtrat und die Verwaltung wünscht, als „optimal und endgültig“ in trockene Tücher gebracht wird. Bis heute sind jedenfalls mehrheitsfähige „Vorzugslösungen“ nicht in Sicht.
Die wesentlichen Schwerpunkte des Verkehrskonzepts
Im Grunde stehen wir vor Lösungsvorschlägen, die bereits seit Jahrzehnten immer wieder diskutiert werden.
Planfall 1: Die fälschlich als „Umgehung“ Feldmochings bezeichnete Staatsstraße 2342 neu – sie führt von der Feldmochinger Str. auf Höhe der A99 ab, geht dann in etwa quer zum Feldmochinger Wohngebiet hin zum Hochmuttinger Bahnübergang und dann entlang der Bahn vorbei am dicht besiedelten Feldmochinger Anger – ohne Anschluss an die Autobahn, aber mit Verlängerung Georg-Zech-Allee und Verlängerung Augustin-Rösch-Straße.
Vorteile laut Studie wären die Entlastung der belasteten Ortsstraßen in Feldmoching, Hasenbergl und Am Hart. Dagegen stehe eine unzureichende Verbesserung der Erschließung der Gewerbegebiete im Münchner Norden.
Planfall 2a: Staatsstraße 2342 neu mit Anschluss an die Autobahn, Verlängerung der Georg-Zech-Allee, Verlängerung Augustin-Rösch-Straße.
Vorteile laut Studie wären eine wirksame Entlastung der belasteten Ortsstraßen in Feldmoching, Hasenbergl und Am Hart. Ferner eine deutliche Verbesserung der Erreichbarkeit des Autobahnnetzes aus den Gewerbegebieten im Münchner Norden. Nachteilig wären im Wesentlichen Eingriffe in Privatgrund und Neuversiegelungen.
Planfall 4: Tunnel Hasenbergl, Verbindung zur Feldmochinger Str. mit Anschluss an die Autobahn, Verlängerung Georg-Zech-Allee bis zur Lerchenstr.
Vorteile laut Studie wären keine Beanspruchung bebaubarer und bebauter Grundstücke sowie die Nichtbeanspruchung der Augustin-Rösch-Str. Nachteilig wären laut Studie die unzureichende Entlastung der in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Straßen in Feldmoching und die deutliche Verkehrszunahme auf der nördlichen Schleißheimer Str. im Bereich mit hoher Wohndichte.
Planfall 5: Anbindung der Schleißheimer Str. mit Halbanschluss Richtung Westen an die A99. Diese Trasse ist als Tunnel unter dem FFH-Gebiet Hartelholz denkbar. Die Machbarkeit dieser Anbindung wird gerade in rechtlicher und technischer Hinsicht in einer ersten Stufe untersucht.
Für Planfall 5 plädierte erst kürzlich wieder der Bezirksausschuss 11, der damit auch sein Einkaufszentrum Mira besser angebunden sähe. Der Bezirksausschuss 24 lehnte in seiner fraktionsübergreifenden Stellungnahme an das Referat für Stadtplanung 2009 alle Maßnahmen ab, die einen zusätzlichen Verkehrszustrom in den Stadtbezirk zur Folge haben. Dagegen plädiert er für eine intelligente Ertüchtigung der U- und S-Bahnen bezüglich Taktverdichtung und Tarifgestaltung. Außerdem sieht der BA noch durchaus Ertüchtigungsmöglichkeiten bei der Max-Born- und der Ingolstädter Str. sowie der A99.
So geht`s weiter
Für das weitere Vorgehen hat das Referat für Stadtplanung und Bauordnung dem Stadtrat folgende Schritte vorgeschlagen:
- Das Planungsreferat wird beauftragt, zum vorliegenden Beschlussentwurf die betroffenen Bezirksausschüsse anzuhören. Der Öffentlichkeit wird nach den Beratungen in den BAs in Bürgerversammlungen das Verkehrskonzept erneut zur Kenntnis gegeben.
- Das Planungsreferat wird beauftragt, den Stadtrat noch 2011 über die Ergebnisse der laufenden Untersuchungen der technischen, naturschutzfachlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen zur Verlängerung der Schleißheimer Str. mit Anbindung an die A99 sowie den Variantenvergleich zu informieren und Handlungsempfehlungen vorzulegen.
- Das Planungsreferat bleibt beauftragt, die Arbeiten unter Beteiligung des „Runden Tisches“ fortzuführen und Ergebnisse in die Erarbeitung einer Handlungsempfehlung einzubeziehen.
Weitere Informationen lasssen sich im Rats-Informations-System (RIS) unter der Vorlagen-Nr.:08-14/V09317 und auf den Seiten der Stadt München zum Verkehrskonzept des Münchner Nordens abrufen. Das Artikelbild stammt aus dem Vortrag von Georg Dunkel vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung.
Kommentar
Wieder liegt ein Verkehrskonzept für den Münchner Norden vor. Viele Vorschläge sind altbekannt: Die Behörden präsentieren sie seit Jahrzehnten immer wieder und die Bürger lehnen sie mit ebensolcher Regelmäßigkeit ab. Dass die Bürger das Gefühl beschleicht, ihr Wille zähle nichts und „die da oben machen eh, was sie wollen“, muss nicht wundern. Wundern muss auch nicht, wenn der Frust irgendwann in Wut umschlägt und der Bürger zum Wutbürger wird.
Denn was taugen die Planfälle? Was soll beispielsweise die sogenannte Ortsumgehung von Feldmoching? Das ist eine sprachliche Verharmlosung. Hier handelt es sich um keine Ortsumgehung, sondern um eine Staatsstraße, die mitten durch dichtbesiedeltes, reines Wohngebiet führt und die Feldmoching zerschneidet. Die zudem den Lärmteppich, der bei ungünstiger Witterung schon von der A99 nach Feldmoching weht, noch näher an den Ort heranträgt und die wenige Natur, die seit dem brachialen Bau der A99 geblieben ist, endgültig zerstört. Gleiches gilt für die mögliche Anbindung der Schleißheimer Str. an die A99. Während die Bürger im Süden die Idee eines Autobahnsüdrings, der die A99 entlasten würde, stets mit den Argumenten Landschaftsschutz und „Durchschneidung hochsensibler Wohngebiete“ abschmettern, braucht der dicht besiedelte Norden offensichtlich keine Erholungsräume. Denn wo liegt der Erholungswert, wenn man künftig vom Verkehrslärm umtost Fahrrad fährt, Auspuffgas-geschwängerte Erdbeeren am Feld pflückt oder am Rand einer neuen Staatsstraße spazieren geht?
Das Argument der Planer, das schöne an der „Ortsumgehung“ Feldmochings sei, dass die Bewohner entlang der Bahn Lärm gewohnt seien (nach dem Motto: sind schon alle taub) und man ihnen deshalb mit Lärmschutzmaßnahmen sogar eine Verbesserung bringe, ist ebenfalls Augenwischerei. Wer garantiert, dass diese nicht plötzlich, wenn im Staatssäckel Geld fehlt, dem Rotstift zum Opfer fallen oder, noch eleganter, auf einmal gar nicht notwendig sind, weil in einem Rechenmodell keine allzu hohen Emissionen ermittelt hat? Und wie will man die vielen Bewohner des Feldmochinger Anger schützen? Wie Feldmoching westlich der Bahn? Da ist doch gar kein Platz für einen Wall oder eine Lärmschutzwand!? Und der Wind kommt oft aus Osten!
Laut Studie sind die nur ein paar Kilometer auseinander liegenden Anschlussstellen Ludwigsfeld und Neuherberg morgens stark belastet, so dass es regelmäßig zu „Rückstauereignissen“ komme. Daher sei ein weiterer Anschluss nötig. Wer regelmäßig die A99 fährt, fragt sich aber, wer überlastet ist: die Abfahrten oder die Autobahn. Es ist letztere. Daher sollte man die A99 ausbauen und im Bereich von ganz Feldmoching und dem Hasenbergl – endlich – Lärmschutzwände anbringen. Aber stattdessen will man die Staus auf der A99 vergleichsweise kostengünstig über eine neue Autobahnabfahrt ableiten.
Überhaupt, wo steht geschrieben, dass ein BMW-Mitarbeiter stets mit seinem BMW zur Arbeit fahren muss? Wäre es nicht an der Zeit, dass BMW mehr für den Klimaschutz und fürs „grüne Image“ tun, statt Elektroautoblasen steigen zu lassen? Und wäre die Zoneneinteilung des Münchner MVV nicht so dumm, wie sie ist, und würden die S1 und die U2 bis Feldmoching enger getaktet fahren, dann würden gewiss mehr Pendler ihr Auto im Speckgürtel stehen lassen und gleich in die S-Bahn steigen.Renate Regnet-Seebode