Die Ausgangslage ist bekannt: München wächst, innerhalb der Stadt und im „Speckgürtel“. München wächst so stark wie kaum eine andere Stadt in Deutschland, und das soll nach Prognosen noch mindestens bis 2030 so weitergehen. Nicht zuletzt deshalb fehlt Wohnraum, vor allem: bezahlbarer Wohnraum für Otto-Normal-Verdiener. „Im Norden Münchens – an der Stadtgrenze und in direkter Nachbarschaft zur boomenden Flughafenregion – liegt ein großer, unbekannter Stadtteil. Mit viel Potenzial. Was findet man dort vor? Welche Art von Stadt kann man an diesem Ort entwerfen? Welche Vision von Wachstum, Urbanitätsbegriffen und Qualitäten kann an diesem Ort entstehen?“ (O-Ton Pressetext)
Welche „Urbanität“ künftige Stadtplaner Gartenstädten und immer noch ländlich anmutenden Vierteln Münchens verpassen wollen, das ist in dieser Ausstellung unter dem Titel „Performin’ the city – Urbanität entwerfen“ so eindrucksvoll zu besichtigen, dass ein Besucher gar meinte, er sei froh, das nicht mehr erleben zu müssen. Die Jury jedoch urteilte, dass die Studenten auf kreative bis visionäre Weise ganz unterschiedliche Ansätze für potenzielle neue Siedlungsräume im Bereich Fasanerie – Feldmoching – Lerchenau entwickelt hätten. Dabei seien interessante Ideen erarbeitet worden, wie man die Seen-Landschaft im Münchner Norden weiterentwickeln könne.
Wer die Ausstellung besucht, sieht vor allem viele, viele hohe und dicht nebeneinander angeordnete Häuser sowie eine üppige Blockrandbebauung. Natur, sprich naturbelassener Raum, kommt in den Entwürfen der Studenten kaum mehr vor, abgesehen von den drei (einst künstlich angelegten) Seen und dem „Landschaftspark Feldmochinger See“. Ein „Dorf“ Feldmoching ist dabei nicht mehr existent, die Stadt hat sich wie eine Krake bis zur Stadtgrenze vorgeschoben und alles vereinnahmt.
Selbst der Feldmochinger Anger wird bebaut
Die Arbeiten entstanden alle im Rahmen eines Wettwerbs zum „Johannes-Göderitz-Preis 2013“. Die kürzlich prämierten Entwürfe stammen von Studenten der Technischen Universitäten München, Braunschweig und Dortmund, der Leibniz Universität Hannover sowie der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Der Wettbewerb wurde im vergangenen Jahr vom Lehrstuhl für Städtebau und Regionalplanung der Technischen Hochschule München durchgeführt. Das Preisgericht unter dem Vorsitz von Prof. em. Thomas Sieverts bestimmte sechs Preisträger in zwei Gruppen: Zur 1. Preisgruppe zählt etwa der Entwurf der „Neuen Mitte München“ ” von Patrick Breuer und Frederick Faßbender, LU Hannover. Die beiden Studenten entwarfen das „Quartier Fasaneriesee“, das am östlichen Ufer des Fasaneriesees beginnen und sich bis zum Bahnhof Feldmoching erstrecken soll. Entlang zweier Hauptachsen, die von Norden nach Süden und von Osten nach Westen verlaufen, sollen Blockrandtypen entstehen, die sich zur angrenzenden Bestandsbebauung auflösen, „abstaffeln“, wie es in der begleitenden Beschreibung heißt, um damit einen behutsamen Übergang zu vermitteln.
Ein wichtiger Bestandteil der „Neuen Mitte“ ist das Quartier Feldleine. Der Ortskundige liest erstaunt, dass hier „in dem noch freien Grünstreifen, der als Zubringer für die Autobahn 99 gedacht war“ – die Rede ist also vom Grünzug Feldmochinger Anger!? – eine aufgelockerte Bebauung entstehen soll, die zwischen den angrenzenden Bestandsbauten vermitteln solle. Als Wohnungstyp schlagen die beiden Studenten „Townhäuser“ vor, ein Wortspiel, das auf eine „niedrigere Bebauung“ schließen lasse. In den halb geöffneten Höfen sollen, so schwebt es den Studenten vor, Felder angelegt werden, Blumenfelder etwa oder Fläche zum „Urban Farming“.
Wenn die Tram durch die Feldmochinger Str. fährt
In der 1. Preisgruppe haben ferner Leopold Böhm und Julian Schmidt (TU München) unter dem Motto „sequence, performance, city” einen Planungsvorschlag erarbeitet, der sich auf Mobilitätskonzepte, historische Pläne, wirtschaftliche Faktoren sowie auf den Status quo des „Siedlungs- und Naturraumkonglomerats“ Feldmoching – Fasanerie – Lerchenau stützt. Dabei haben sie unter anderem den sogenannten Fingerplan von 1963 herangezogen, der seinerzeit einer der am weitesten vorangeschrittenen Planungsvarianten war und bei dem man erstmals über die Stadtgrenzen hinaus dachte. Manche „Finger“, wie die Entwurfsregion, so schreiben die Studenten, seien bis heute nahezu unangetastet. Mit ihren Entwürfen würde sich das aber ändern: Um das Gebiet besser anzubinden, schlagen die beiden zunächst einmal die Weiterführung von Tramtrassen vor, denn im Gegensatz zur U-Bahn und zum Bus sei eine Tram ein „raumprägendes Element der urbanen Identitätsbildung“ und erhöhe die Attraktivität einer Siedlung weit besser als die anderen Verkehrsmittel. Auch steigere die Tram, so ist im Konzept der beiden Münchner nachzulesen, die ÖPNV-Neunutzer um bis zu 50 %.
Vielleicht weil im Münchner Norden die Bewohner unterdurchschnittlich oft den öffentlichen Nahverkehr nutzen, wollen die beiden Studenten gleich zwei Tramlinien installieren: Die Tram 23 soll nicht etwa nur bis zum Goldschmiedplatz im Hasenbergl Nord führen, sondern dann in westlicher Richtung weiter durchs Hasenbergl hindurch gen Feldmoching fahren, vorbei am Kirchenensemble St. Peter und Paul und dem neuen „Zentrum am Friedhof“ bis hin zum Feldmochinger See. Die Tram 27 hat nach den studentischen Entwürfen noch einen weiteren Weg vor sich, soll sie doch vom Olympiazentrum aus über das Gewerbegebiet am Oberwiesenfeld, den Eggarten vorbei am Lerchenauer und am Fasaneriesee führen und dann am „neuen Zentrum Pappelallee“ und dem „neuen Blütenanger“, dem „Business District Schrederwiesen“, die MAN und die „Kristallsiedlung“ Halt machen, um letztlich in Karlsfeld zu enden.
Ansonsten schlagen sie vor, die S-Bahn im Bereich des Fasaneriesees unter die Erde zu verlegen, um interessantes Bauland durch die Verlagerung der Schrebergärten an die Pappelallee zu erhalten. Die Promenade am Fasaneriesee soll „urban transformiert“ werden, und in einem weiteren Schritt sollen neue „Quartiere“ entlang der Tramtrassen entstehen wie eben beim Feldmochinger Friedhof das Quartier „Am Friedhof“ und auf den Schrederwiesen der „Business District Schrederwiesen“.
P.S.: Auf der Februar-Sitzung des Bezirksausschusses 24 wurde beschlossen zu beantragen, dass diese Ausstellung auch im 24. Stadtbezirk zu sehen sein soll, „wenn wir schon der Frosch im Versuchsglas sind“. Denn man sehe dabei, wo die Richtung hingeht, so hieß es bei der Sitzung.
pk444 meint
Wer keine Zeit hat vorbeizuschauen, hier der Internet-Link zu den Vorschlägen: http://www.johannes-goederitz-stiftung.de/?p=1581